Mikroelektronik als kritische Infrastruktur
Konkreter ausgeführt wurden die Positionen und Aktivitäten des Ministeriums am zweiten Konferenztag von Dr. Stefan Mengel, Referatsleiter für Elektronik, autonomes Fahren und Supercomputing im BMBF. Er benannte recht klar, wie sich die »Zeitenwende« und geopolitischen Veränderungen auch auf die Politik des BMBF auswirken.
Früher war Forschungspolitik vorwiegend Industriepolitik, diente der langfristigen Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen und der Stärkung Deutschlands im internationalen wirtschaftlichen Wettbewerb. Schon seit 2018, mit dem ersten strategischen Förderprojekt der EU-Kommission IPCEI – Important Projects of Commom European Interest – wurde die Mikroelektronik als Bestandteil kritischer Infrastruktur erkannt, die unabdingbar für das Funktionieren der Gesellschaft ist. Diese Bedeutung hat sich weiter gesteigert. Heute, so Dr. Mengel, ist die Mikroelektronik ein Baustein, um die technologische Unabhängigkeit, die politische Handlungsfähigkeit und so auch die Souveränität des Landes zu sichern.
Angesichts der massiven Subventionen der USA und Asiens in ihre Halbleiterindustrien ist die Bildung eines Gegengewichts nur auf EU-Ebene möglich. Um hier mitspielen zu können, hat das BMBF die »Forschungsfabrik Mikroelektronik« geschaffen. Sie ist keine physische Fabrik im Sinne eines großen zentralen Standorts, sondern ein Zusammenschluss aus elf Fraunhofer- und zwei Leibniz-Instituten, die über das gesamte Bundesgebiet verteilt sind. Mit diesem Gebilde kann die verteilte deutsche Forschungslandschaft im innereuropäischen Wettbewerb mit den großen belgischen und französischen Forschungseinrichtungen CEA-Leti und IMEC als eine Einheit auftreten. So hofft man, im Rahmen des EU Chips Act im nächsten Jahr ein Förderprojekt für eine Pilotlinie zu gewinnen.
Fachkräftemangel: Das Studium hat ein schlechtes Image
Das Thema Fachkräfte und Nachwuchs zog sich durch den gesamten Mikrosystemtechnik-Kongress und tauchte immer wieder in Keynotes und Vorträgen auf. Der VDE hatte dazu erstmals eine Session »Neue Wege im Recruiting« ins Programm aufgenommen. In dieser Session gab Michael Schanz vom VDE einen Ausblick auf eine Studie zur Ausbildung und Nachwuchsgewinnung, die im Dezember 2023 erscheinen soll. Sie deckt auf, dass junge, technikaffine Menschen mitunter völlig falsche Vorstellungen von der Tätigkeit von Elektroingenieuren haben. Eine Befragung unter 1000 Teilnehmern ergab, dass der Beruf des Elektroingenieurs u. a. mit Kabelverlegen und Installationsarbeiten assoziiert wird. Chipdesign, Sensorik, Internet der Dinge und künstliche Intelligenz kamen indes nicht vor. Insofern schlug Michael Schanz Marketinginitiativen zur besseren Imagebildung des Ingenieurberufs vor, vor allem auch in sozialen Medien. Zu den Aktivitäten des BMBF sagte er, das Ministerium fördere nur MINT allgemein, da gehe die Elektrotechnik unter, zumal Schüler eher an IT und Informatik interessiert seien. So war sein Appell intern an den VDE gerichtet, denn »Marketing kostet Geld«.
Als großes Problem identifiziert die Studie die Abbruchquote von 65 % unter E-Technik-Studierenden. Selbst Studienanfänger, die gut in Mathematik sind, erlebten am Anfang des Studiums einen »Mathe-Schock«. Ihnen werde nicht vermittelt, wofür sie die Lerninhalte später benötigen. Die befragten Studienteilnehmer sehen »Durchhaltevermögen« als wichtigste Eigenschaft für Erfolg im Elektrotechnikstudium. Das ist eine Ohrfeige für die didaktische Qualifikation der Lehrenden und die curriculare Ausgestaltung des Studiums an den Universitäten. Schulz: »Die Studierenden extrapolieren die Erfahrung am Anfang auf die gesamte Dauer des Studiums.« Er regte an, schon früher praxisbezogene Lehrveranstaltungen einzuführen und z. B. Mathematik nicht von Mathematikern lehren zu lassen, »die sich an mathematischer Sprache und ausgeklügelter Beweisführung ergötzen«, sondern stärker praxisorientiert von Ingenieuren.
Intensiver fachlicher Austausch
Auch wenn dieser Bericht die Industriepolitik in den Mittelpunkt stellt – der größte Teil des MikroSystemTechnik Kongresses diente dem fachlichen Austausch. Der Fokus der Konferenz lag auf Nachhaltigkeit, Green IT und Next Generation Computing. Dr. Rutger Wijburg, COO von Infineon, machte dem Plenum klar, dass Nachhaltigkeit und wirtschaftliches Wachstum kein Gegensatz sind. Aus verschiedenen Marktstudien erwartet Infineon im Zeitraum 2020 bis 2030 weltweit eine Steigerung der installierten Solarleistung um den Faktor 7, bei der Windkraft eine Steigerung der Ausbeute um den Faktor 4, bei E-Autos eine Steigerung der jährlichen Verkaufszahlen um den Faktor 11 und bei IoT-verbundenen Geräten eine Steigerung um den Faktor 3,5 von 2020 bis 2025.
Dr. Stefan Finkbeiner, CEO Bosch Sensortec, gab einen faszinierenden Einblick an die vorderste technologische Front von Sensorik und Mikroaktorik. So arbeitet Bosch an einem Projektionssystem für Smart Glasses, das Informationen in Brillengläser einblendet, z. B. für Navigation oder Fitnessdaten. Nicht-invasive, unblutige Messung des Blutzuckers ist ein weiteres Gebiet: Heute ist schon eine unblutige Messung mittels Implantaten möglich. Zukünftig will man auch darauf verzichten, was weitere Erleichterungen für die Behandlung von Diabetes bedeuten würde. Bei Drucksensorik ist Bosch heute in der Lage, Höhenunterschiede im Zentimeterbereich zu detektieren. Die kapazitiven Membranen der Gassensoren sind so empfindlich, dass sie – skaliert auf ein Fußballfeld – um die Dicke von zwei Haaren ausschlagen würden. All das wird von Bosch ausschließlich in Deutschland gefertigt.